Stettin

Julius Twardowsky

Ich sehe nach oben in die Luft. Es sind Wolken am Himmel, trotzdem scheint die ersehnte Herbstsonne so heiß sie kann. Das Spiel zwischen Wind und den angestrahlten Partikeln in der Luft wirkt artistisch und verspielt, genau wie die Tauben hoch oben. Ein Loch im Asphalt dient einem ganzen Schwarm von ihnen als Tränke, irgendwie poetisch.

Meine Nase ist kalt, sie läuft.

Und ich laufe, schreite, gleite förmlich durch die Straßen über den Granit. Der Boden ist glatt und feucht, immer noch von der Regennässe des Vortages. Ich bin im Flow. Meine festen Novemberschuhe treffen auf den harten Stein, begegnen der Feuchte, saugen sie auf und schmatzen genüsslich bei jedem Tritt. Meine Schuhe sind im Flow.

Wo bin ich? Ich kam hier an ohne Ziel, es blieb auf der Strecke.

Ich schreite, ich gleite, das Schmatzen, der Flow.

Der Tag hat mich, viel mehr: die Stadt hat mich. Jetzt schon, nach drei Tagen.
Ich komme aus einer Stadt, die im Vergleich zu dem, was ich hier vorfinde, irgendwie falsch ist, fake ist. Das scheint die ganze Idee dieser Stadt zu sein und fängt schon bei den Leuten an.

Hier scheint das nicht der Fall zu sein. Stettin hat eine schnoddrige Poesie. Ich finde hier Ruhe, es ist fast friedlich hier … Ich weiß aber, dass das nicht stimmt.

Es wird spät, es wird Nacht. Es stehen Gestalten an den Ecken der Straßen, im Licht der Laternen und in den Schatten der Hauseingänge. Im Vorbeigehen raunt mich wer an: „Verpiss dich nach Deutschland!“

Ich gehe weiter, drehe mich nicht um. Es interessiert mich nicht. Ich habe hier Men-schen getroffen, die wollten, dass ich mich hier zuhause fühle, obwohl sie mich nicht kannten. Und das tue ich jetzt. Also Stettin, ich verpisse mich, komme aber wieder. Dann aber lieber im Sommer.