Gespräch
mit einer Stadt
Ines Küster
Ich bestehe aus Gebäuden, Straßen und Plätzen. In meinen Adern fließt kein Blut, sondern Menschen und Waren. Ich bin Heimat, Ausflugsziel und Durchgangsort. Ich bin groß und doch ganz klein. Ich heiße willkommen und bin doch eigenwillig.
Wo bist du zu Hause?
Was ist das, ein Zuhause für eine Stadt? Meine Koordinaten sind 53 Grad Nord und 14 Grad Ost, aber was sagt das schon aus? Bin ich polnisch? Bin ich deutsch? Schließt sich das aus oder kann ich nicht einfach beides sein? Liege ich an der Grenze oder doch im Zentrum? Bin ich das Ende von Polen oder der Anfang von Berlin? Ich bewege mich nicht fort und doch wechsele ich den Standort – je nach dem, wer mich betrachtet.
Was macht dich aus?
Willst du nicht lieber fragen: Wer macht dich aus? Denn eine Stadt ohne Menschen, kann es das überhaupt geben? Für die einen bin ich eine Metropole, für die anderen lediglich Peripherie. Für die einen bin ich Heimat, für die anderen nur Studienort. Für die einen bin ich von Dauer, für die anderen nur eine kurze Episode. So wie für dich. Du kommst für ein paar Tage, versuchst, dir ein Bild von mir zu machen und dann gehst du wieder, erzählst deinen Freunden von mir. Doch hast du wirklich einen tiefen Einblick in mich bekommen oder nur an der Fassade gekratzt?
Was müsste ich tun, um dich wirklich kennenzulernen?
Was ist es denn, was für dich eine Stadt ausmacht? Ist es die Geschichte? Dann unternimm eine Zeitreise. Ist es die Architektur? Dann geh und betrachte. Ist es der Alltag? Dann lebe hier. Sind es die Menschen? Dann rede mit ihnen. Doch ob du mich jemals ganz erfassen kannst? Nein, das geht nicht. Denn ich bin nicht statisch, ich verändere mich jeden Tag, mit jedem Menschen, der kommt und geht.
Wie siehst du aus? Bist du schön?
Wer würde schon von sich selbst sagen, dass er schön ist? Möchtest du das nicht lieber sagen? Möchtest du mir nicht ein Kompliment machen? Das wäre etwas Neues für mich. Die meisten Menschen aus Berlin kennen mich nicht einmal.
Ich kann dir sagen: Ich finde dich spannend. Ob ich von Schönheit reden würde? Im November lieber nicht. Dein Schloss, dein Rathaus, deine Philharmonie, deine Natur. Wenn man will, kann man deine Schönheit finden. Doch ich frage mich: Wie geht es dir?
Ich fühle mich stark, denn mein Herz schlägt nicht nur an einem Ort. Ich habe mehrere Orte, an denen das Leben pulsiert. Die Menschen mag es stören, dass es nicht das eine Zentrum gibt, aber für mich ist das gut. Ich stehe auch nicht nur auf einem Bein. Ich stehe auf einem polnischen und einem deutschen Bein und beide zusammen machen mich kräftiger. Doch leider habe ich einen schmerzenden Rücken, er liegt in Skolwin. Und ich habe Wunden – die geschlossene Werft, die geschlossene Papierfabrik – die nur langsam heilen.