Ein vertrauter

Blick

Moritz Hirmer

Ein kurzer Moment der Benommenheit erfasst mich. Ich öffne meine Augen und blicke in ein Gesicht. Vertrautheit und Distanz spiegeln sich in den Augen meines Gegenübers. Ich wende mich ab und schaue hinaus. Marode Häuser mit ästhetischen Fassaden reihen sich aneinander, kleinere Menschenmengen bewegen sich im Takt der Stadt. Verwirrt und begeistert zugleich verliere ich mich in diese facettenreichen Formen des städtischen Treibens, entdecke dabei Orte, welche sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft zu symbolisieren scheinen.

Eine gelb-weiße Straßenbahn rauscht vorbei, ein Relikt aus einer anderen Zeit und von einem anderen Ort, aber aus einer gemeinsamen Vergangenheit. Langsam scheint sich das Bild zu verändern. Die Stadt öffnet sich und verweist in die Ferne, kleine Neubausiedlungen lassen sich durch das beschlagene Fenster am Horizont erkennen. Nur anhand der farblichen Gestaltung heben sich die Türme voneinander ab, ihre innere Struktur scheint identisch. Ein typisches Bild, nicht nur für Stettin.

Ich verschließe die Augen und versinke in losen Gedanken. Plötzlich holt ein warmer Sonnenstrahl mich in das Diesseits zurück. Verwunschene Einfamilienhäuser drängen sich in mein Blickfeld, die Nachmittagssonne verzaubert die zuvor noch so trostlos erscheinenden Auswüchse der Stadt in eine Welt des harmonischen Stillstands. Jemand signalisiert mir, dass wir bei der nächsten Station aussteigen. Der aus allen Nähten platzende Bus öffnet seine Pforten, kalte Luft strömt herein und die zuvor dicht gedrängten Menschen springen hinaus.

Ich schaue um mich herum und merke, dass ich nichts erkenne. Ein konträres Bild zu jenem Stettin, dass ich bis jetzt kannte und welches ich mir die ganze Zeit vorstellte. Alles schien so ruhig, fast schon verschlafen, jedoch nicht auch nur ansatzweise leer.

Moritz Hirmer, Berlin